«Notvorrat fürs Gehirn, gibt es das?»

Gibt es auch Reserven an Gehirnnerven? Und wenn ja, wie beschaffen wir uns diese? Zu Beginn der Corona-Krise waren die Läden leer gekauft.
In unsere kognitiven Fähigkeiten investieren
In unsere kognitiven Fähigkeiten investieren (Bild Egor Myznik on Unsplash)

Alle wollten sich in diesen unsicheren Zeiten Vorräte anlegen. Aber nicht nur in Krisenzeiten möchten wir Reserven haben.

Mit Ausnahme von grossen Fettreserven am Körper wünschen wir uns Reserven, seien es Reserven an Geld, an Nahrungsmitteln, an Kleidern, oder auch an Zeit. Die Frage ist nur: Gibt es auch Reserven an Gehirnnerven? Und wenn ja, wie beschaffen wir uns diese?

Dieser Frage ist man in einer interessanten amerikanischen Forschungsstudie mit mehreren Hundert Ordensschwestern im Alter zwischen 76 und 107 Jahren auf die Schliche gekommen. Die Nonnen waren in der Gemeinschaft körperlich und geistig sehr aktiv, hatten Gottvertrauen und hohe Lebenszufriedenheit. Sie ernährten sich gesund und waren sozial eingebunden und engagiert.

Regelmässig mass man die kognitiven Leistungen der Nonnen und nach deren Tod untersuchte man deren Gehirne. Erstaunt stellte man fest, dass viele der Gehirne der Verstorbenen Anzeichen von Alzheimer aufwiesen, diese Personen aber zu Lebzeiten ohne entsprechende Symptome lebten.

Diese und andere Forschungsergebnisse zeigen eindrücklich, dass es bestimmte Kräfte im Gehirn gibt, die physiologische Defizite ausgleichen und die Person vor Alzheimersymptomen schützen konnten.

Und genau diese Kräfte können als unsere «Gehirnreserven» bezeichnet werden. Die Neurowissenschaften nennen es die «kognitive Reserve». Sie beschreibt die Fähigkeit des Gehirns, sich anzupassen.

So kann das Gehirn beispielsweise auf verletzte (z.B. Schlaganfall) oder vom altersbedingten Abbau betroffene (z.B. Alzheimer) Hirnareale reagieren, indem die Neuronen neue Verbindungen schaffen und andere Gehirnareale die Leistungsdefizite kompensieren.

Nicht alle Gehirne schaffen eine solche Anpassung gleich schnell, und dies widerspiegelt der Wert der individuellen kognitiven Reserve.

Die zentrale Frage ist nun, wie wir diese kognitive Reserve aufbauen und stärken können. Ein Patentrezept, das sofortige Veränderung und Aufbau der Reserve verspricht, gibt es nicht. Es sind verschiedene Aktivitäten, die den Unterschied machen, und sie sind weder kompliziert noch kosten sie viel Geld.

Es ist keine spezifische Methode, sondern eine Haltung - ein Lebensstil. Es erfordert die Bereitschaft und Offenheit, aktiv zu sein und sich konstant herausfordern zu lassen.

Für die Stärkung der kognitiven Reserve ist somit das Lernen von Neuem und der Kontakt zu verschiedenartigen Personen besonders wertvoll. Dies bietet dem Gehirn sehr «gehaltvolle Nahrung». Wenn wir mit neuen Anforderungen und Entscheidungen konfrontiert sind, trainieren wir damit unser vernetztes und flexibles Denken und erhöhen gleichzeitig die kognitive Reserve.

Auch das Erleben positiver Gefühle und das Eingebettet sein in ein unterstützendes soziales Umfeld sind zentral für unsere kognitiven Reserven. Ein Hamsterkauf für sofortige Reserve in unserem Gehirn gibt es also nicht.

Aber wenn wir lebenslang in unsere kognitiven Reserven investieren, können wir dem biologischen Abbau getrost entgegenschauen und unserem Gehirn zutrauen, dass es genug anpassungsfähig ist. Genauso wie uns der Vorrat im Keller Sicherheit gibt.

Barbara Studer ist Neuropsychologin und Dozentin. Sie leitet Synapso, die Fachstelle für Lernen und Gedächtnis der Universität Bern, welche regelmässig Workshops und Vorträge anbietet. Vor Kurzem hat sie die Plattform www.hirncoach.ch initiiert, welche älteren Personen kostenlos Anregungen für die tägliche Hirnfitness liefert. Via Homepage registrierten Personen werden alle zwei Wochen Übungen und Impulse zugeschickt.


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