«Wie kann man die Jünger des Nachtlebens verstehen?»

Der Autor Jürg Ramspeck (Ü70) und die Nachwuchsjounalistin Joëlle Weil (U30) fragen sich, ob es sich in der jeweils anderen Generation überhaupt zu leben lohnt.
Nachtleben, Party, Ausgang
Die Freuden des Lebens in der Nacht (Foto: Aditya Chinchure on Unsplash)

Die Nachwuchsjournalistin und der bekannte Autor stellen sich deshalb im «Blick am Abend» gegenseitig Fragen, um den Generation-Clash etwas abzufedern - oder sich gar gegenseitig zu verstehen.

"Elder Statesman" Jürg Ramspeck fragt:

Liebe Joëlle,
kürzlich habe ich mich einmal länger auf dem Escher-Wyss-Areal umgesehen und dabei gefühlt hunderte Affichen gelesen, auf denen Veranstaltungen mir gänzlich unbekannter Urheber in für mich exotischen Lokalitäten angekündigt sind. Offenbar existiert da ausserhalb meiner Wahrnehmung ein enormer Kultur- und Nachtbetrieb. Ich mutmasse, irgendwie nimmst wohl auch du an diesem Betrieb teil. Aber: Wie findest du dich in diesem - wie mir vorkommt - uferlosen Angebot überhaupt zurecht?

"Young Küken" Joëlle Weil antwortet:

Lieber Herr Ramspeck,
Sie meinen, wenn DJ Irgendwer in Irgendwoswil auflegt? Oder in der Wasweissich-Bar? Wie sie alle heissen, die Jungs die ihre Laptops an überdimensionale Boxen anschliessen, weiss ich auch nicht. Es geht aber gar nicht darum, mit bekannten Musikern zu werben, sondern ein breites Angebot zu bieten. Ja, es ist sogar wünschenswert, DJs anzukünden in der Hoffnung, dass nur Insider sie kennen. Man will ja nicht Mainstream sein, den neuen Star frühzeitig entdecken. Und je mehr DJs und Underground-Lokalitäten es gibt, desto mehr coole Kids gibt es. Die kennen die DJs, die Partyveranstalter, oder sind im besten Fall selber einer. Meine Generation züchtet Coolness: Vor 10 Jahren waren es die Raucher, dann wurden es diejenigen mit Autos. Heute sind es die mit Rennvelos oder den angesagten Sneakers, die auf Gästelisten stehen mit der Begründung: "Min Kolleg organisiert die Party ebä, weisch?!" Wir haben nachts eine Parallelwelt aufgebaut, die für Sie verschlüsselt bleiben soll. Zum Glück verwirrt Sie das Angebot. Sie dürfen es gar nicht verstehen. Wagen Sie es bitte nicht, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen! Usher könnten Sie versehentlich im Radio hören, aber das oberkrasse Mixtape eines DJs, der von sich behauptet, für die Musik zu leben, das wird Ihnen immer verborgen bleiben. Auch heute Abend werden sich wieder Tausende ins Nachtleben stürzen. Ich werde vielleicht eine davon sein, wenn auch ahnungslos. Mit Glück stehe ich auf einer supercoolen Gästeliste. Vielleicht sogar Plus 1. So wie Abertausende auch. Wir suhlen uns in Coolness.

www.blickamabend.ch


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