Testosteron: Männer in der Menopause

Die Wechseljahre des Mannes sind ein Lehrstück dafür, wie sich Pharmafirmen neue Märkte erschliessen. Der Absatz von Testosteron-Gelen boomt.
Testosteron: Männer in der Menopause
Testosteron-Gel: Er braucht ihn doch sicher nicht!

Doch im Übermass genommen, schadet das Hormon mehr, als es nutzt, schreibt Jörg Blech auf "spiegel online".

"Mann oh Mann" stand auf dem weissen Zelt, das in der Erfurter Fussgängerzone aufgestellt war. Wer sich hineintraute, der wurde aufgeklärt über einen dramatischen Befund. Jeder dritte Kerl über 60 leide am "Testosteronmangel-Syndrom".

Unerkannt führe die tückische Krankheit zu Bauchfett, Blutarmut, Hitzewallungen, Knochenschwund, sexueller Unlust und schlechter Laune. Männer, die älter als 40 sind, können darin kostenlos den Testosteronspiegel in ihrem Blut bestimmen lassen. Und sie erfahren, was man gegen den Hormonmangel tun kann: sich mehr bewegen - oder eine Testosteronsalbe auf den Leib schmieren.

Die von der "Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit" ins Leben gerufene Testosteronberatung gibt es nicht aus reiner Barmherzigkeit. Es soll auch etwas an den Mann gebracht werden. Schliesslich wird die "Deutsche Gesellschaft für Mann und Gesundheit" von der Firma Jenapharm finanziell gefördert - dem führenden Anbieter von Testosteron-Gelen.

Insgesamt verkaufen fünf Firmen das Männlichkeitshormon zum Einreiben - und das Geschäft läuft wie geschmiert. Das offenbaren die Verordnungszahlen der gesetzlichen Krankenversicherung, die das Wissenschaftliche Institut der AOK für den "Spiegel" ausgewertet hat: Die Zahl der Rezepte für Testosteron-Gele hat sich zwischen 2003 und 2011 mehr als verdreifacht.

Zuletzt waren es 390'000 Tagesdosen pro Jahr. In Deutschland kostet eine Monatspackung des Gels um die 60 Euro. Auch in der Schweiz oder etwa in den USA verkaufen sich die Mittel blendend. Eine Erhebung unter mehr als zehn Millionen Mitgliedern einer US-Krankenkasse hat ergeben: Fast drei Prozent aller Männer über 40 wird inzwischen Testosteron verschrieben.

Doch die Analyse brachte auch ans Licht: Die meisten Verschreibungen sind aus medizinischer Sicht gar nicht notwendig. Und der Trend zum Testosteron birgt sogar Risiken. Im Übermass zugeführtes Männlichkeitshormon fördert das Wachstum von Prostatakrebs und begünstigt Herzinfarkt und Schlaganfall.

Das Fachblatt "Jama Internal Medicine" hat kürzlich eindrücklich gewarnt: vor einem "unkontrollierten Massenexperiment, das Männer dazu verführt, sich den Schäden einer Behandlung auszusetzen, die ihre Probleme kaum lösen". Das Geschäft mit den Gelen ist ein Lehrstück dafür, wie pharmazeutische Firmen Krankheiten aufbauschen, um ihren Produkten neue Märkte zu erschliessen.

Männer mit Hypogonadismus, deren Hoden zu wenig oder gar kein Testosteron herstellen, profitieren tatsächlich von Testosteronpräparaten. Darüber sind sich die Experten einig. Doch nur wenige Männer leiden ernsthaft unter Hypogonadismus.

Und so machten sich Ärzte und Mitarbeiter pharmazeutischer Firmen, als das neuentwickelte Testosteron-Gel auf den Markt kam, auf die Suche nach einem anderen Leiden - und erfanden die Wechseljahre des Mannes.

Die Vorstellung vom männlichen Klimakterium (von griechisch klimakter: Leitersprosse) geisterte schon durch die Antike. Das 63. Lebensjahr hielten Römer für eine gefährliche Klippe - und gratulierten einander zum überstandenen "annus climactericus maximus".

Vor hundert Jahren beobachteten dann einige Nervenheilkundler, der Mann mache Menopause. Der Berliner Nervenarzt Kurt Mendel etwa wollte unter seinen älteren männlichen Patienten eine "ganz auffällige, früher nicht gekannte Rührseligkeit und Neigung zum Weinen" diagnostiziert haben.

Er verschrieb kohlensaure Solbäder und kalte Abreibungen. Später, mit den Fortschritten der Drüsenforschung, wurde das angeblich männliche Klimakterium damit erklärt, dass Hormone fehlten. Aus Tonnen von Stierhoden und Hektolitern Männerharn gewannen Chemiker Testosteron, ehe ihnen 1935 die künstliche Herstellung im Labor gelang.

"Doch erst Ende der 1960er Jahre begann sich im Zuge der expandierenden Andrologie die medizinische Aufmerksamkeit erneut dem männlichen Klimakterium zuzuwenden", sagt der Medizinhistoriker Hans-Georg Hofer, 41, von der Universität Bonn.

Wortschöpfungen wie Andropause und Padam (für partielles Androgen-Defizit des alternden Mannes) machten die Runde. So richtig brach das Männerleiden aus, als Wissenschaftler vor einigen Jahren einen Dreh gefunden hatten, Testosteron nicht nur als Spritze und Pflaster zu verabreichen, sondern als praktisches Gel.

Flugs wurde, passend zum Produkt, eine neue Volksseuche ausgerufen. In Bezug auf die Wechseljahre des Mannes verkündete die Firma Jenapharm im März 2003: "Epidemiologische Schätzungen gehen von mindestens 2,8 Millionen Betroffenen in Deutschland aus."

In Wahrheit hängt das Wohlbefinden von Männern nicht vom Hormonspiegel ab.


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