Alte Liebe rostet doch, auch nach 50plus

50plus lassen sich immer öfter scheiden. Sie haben es satt, aus Pflichterfüllung die eigenen Sehnsüchte noch länger zu unterdrücken.
Auslaufmodell, Sehnsucht, Scheidung, Trennung
Hart aber richtig: Das Leben und sich selbst neu erfinden (Bild: Fotolia)

Doch Männer und Frauen gehen ganz anders mit dem Problem um, schreibt Daniel Behrendt auf dem Portal maerkischeallgemeine.de.

Als Franziska 58 Jahre alt war, begann ihr zweites Leben. «Ihr wirkliches Leben», wie sie inzwischen sagt. 34 Jahre lang hatte sie sich abgerackert, um ihren drei Kindern eine liebevolle Mutter und ihrem Mann Reinhold eine vorbildliche Ehefrau zu sein.

Irgendwann konnte Franziska nicht mehr. Sie fühlte sich fremd in ihrer Haut. Wie jemand, der es zu lange versäumt hat, auf eigenen Bedürfnisse und Sehnsüchte zu achten. «Mein Mann war sehr fordernd», erzählt die inzwischen 62-Jährige.

Franziskas sanften Erziehungsstil lehnte Reinhold als zu lasch ab. Ihre Kleidung fand der joviale Inhaber einer Werbeagentur zu bieder, ihre Figur zu moppelig. Sexy, aber vorzeigbar sollte Franziska sein. Eine Frau, die auch auf Reinholds Geschäftspartner Eindruck machen würde.

Franziska mühte sich nach Kräften. Vergeblich. «Selbst, wenn ich Superwoman geworden wäre, es hätte nicht gereicht», sagt sie heute. Was auch schiefging in der Ehe, stets war sie die Schuldige. Auch bei Reinholds zahllosen Affären. Wenn Franziska dahinter kam, hiess es meist: «Sei nicht so spiessig, unsere Beziehung muss das aushalten.» Oder: «Du bist zu passiv. Du gibst mir einfach nicht genug.»

«Mit meinem Selbstwertgefühl ging es stetig bergab. Ich kapselte mich zunehmend von meiner Umwelt ab, wurde verzagt und antriebslos. Ich bekam Angstzustände und traute mich schliesslich kaum noch aus dem Haus», erzählt Franziska. Vor sechs Jahren reichte es ihr. Wieder einmal gestand Reinhold ihr einen Seitensprung. Keine Affäre, beteuerte Reinhold. Diesmal sei Liebe im Spiel.

Das war der Moment, als Franziska beschloss, sich scheiden zu lassen. Franziska wagte einen Neuanfang - in einem Alter, in dem sich andere Paare längst mit ihrer Ehe arrangiert haben. Ihr Fall ist keine Ausnahme mehr. Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl der Trennungen in der zweiten Lebenshälfte in den letzten zwei Jahrzehnten drastisch gestiegen.

Von den rund 375 000 Menschen, die sich 2011 scheiden liessen, waren rund 90 000 älter als 50 Jahre. Das entspricht einer annähernden Verdoppelung gegenüber dem Stand vor 20 Jahren. «Früher hiess es bei den langjährig Verheirateten: ,Die paar Jahre überstehst du auch noch.'», erklärt Psychologieprofessorin Insa Fooken. «Heute fragen sie sich: ,Das soll alles gewesen sein?'»

Im Bewusstsein, den grösseren Teil ihres Lebens hinter sich zu haben, dränge es viele Partner, lang gehegte Sehnsüchte nicht mehr zugunsten fader ehelicher Pflichterfüllung hintanzustellen, sagt die Psychologin. Dieses «ungelebte Leben», wie die Psychologin es nennt, sei oft eine Folge mangelnder Beziehungsarbeit.

«Viele Paare lassen ihre Ehe einfach nebenherlaufen, anstatt miteinander zu sprechen», sagt Fooken, die als eine der Ersten in Deutschland über das Phänomen «gray divorce» (graue Scheidungen) geforscht hat. Der Preis des Schweigens ist eine schleichende Entfremdung. Doch der Übergang in einen neuen Lebensabschnitt - nach Auszug der Kinder, dem Eintritt ins Rentenalter oder dem Tod eines pflegebedürftigen Elternteils - kann Routinen auf den Kopf stellen.

Plötzlich müssen zwei Menschen mehr Zeit miteinander verbringen, die Bedingungen des Zusammenlebens neu ausgehandelt, individuelle Bedürfnisse in Einklang gebracht werden. Nach Ansicht von Fooken sind es vor allem die Männer, die sich der Auseinandersetzung mit der Partnerin entziehen: «Während er bereit ist, sich mit einer schlechten Ehe zu arrangieren, will sie die Partnerschaft neu beleben.»

Während die Frauen alles auf eine Karte setzten und Selbstverwirklichung und Ehe unter einen Hut bekommen wollen, neigten Männer dazu, ihre Erfüllung ausserhalb der Partnerschaft zu suchen - etwa durch Seitensprünge oder ein neues Hobby.

Ist der Bruch aber erst einmal vollzogen, sind es meist die Frauen, die sich von einer Scheidung besser erholen. «Sie trauern zwar intensiver, können danach aber unbelasteter in einen neuen Lebensabschnitt starten», sagt Psychologin Fooken.

Die Männer gerieten nach dem Aus einer langen, Halt gebenden Ehe oft aus dem Lot und liefen Gefahr depressiv oder alkoholabhängig zu werden. Wie Untersuchungen der Psychologieprofessorin zeigen, spiegelt sich das auch in Kontaktanzeigen von Geschiedenen: «Während sich die Männer nach einer verständnisvollen Partnerin sehnen, die das durch die Ex-Frau erfahrene Leid wiedergutmacht, wünschen sich die Frauen einen aktiven, zugewandten Mann für den Neustart.»

Welch ungeahnte Lebensperspektiven ein solcher Neustart eröffnen kann, zeigt die Geschichte von Franziska. Aus der gefügigen Gattin ist eine freiheitsliebende, lebenshungrige Frau geworden. Sie engagiert sich bei der Aids-Hilfe, hat dort «viele tolle Menschen» kennengelernt.

Vor zwei Jahren hat sich Franziska einen Lebenstraum erfüllt und ist den Jakobsweg gepilgert. Von den Pyrenäen bis nach Santiago de Compostela. Noch vor zehn Jahren hätte sich die heute kraftvoll wirkende Frau kaum aus dem Haus getraut.

Einen Mann hat Franziska inzwischen auch wieder. Ihr neues Leben fühlt sich gut an. «Die Scheidung war hart. Aber ohne sie wäre mein Leben wohl ein Irrtum geblieben», sagt Franziska.

Quelle: www.maerkischeallgemeine.de


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