Ü50 vergessen, sich beim Liebesleben zu schützen

Liebe im Alter? Ja. Geschützter Liebesverkehr? Eher nein. Unter älteren Heteros nehmen die HIV-Neudiagnosen zu schreibt Jakob Simmank in der «Zeit».
Ü50 vergessen, sich beim Liebesleben zu schützen
Bei den heterosexuellen 50plus nehmen HIV-Fälle überdurchschnittlich zu.

Jeder Sechste, der erfährt, dass er sich das Aids-Virus HIV eingefangen hat, ist über 50 Jahre alt. Und hier geht es vor allem um heterosexuelle Frauen und Männer. Zudem ist knapp die Hälfte aller - also junger wie älterer Menschen -, bei denen der Erreger im Blut festgestellt wird, zum Zeitpunkt der Diagnose schon lange infiziert.

Es sind alarmierende Zahlen zu HIV und Aids in Europa, die das Medizinmagazin Lancet HIV (Tavoschi et al, 2017) jetzt veröffentlicht hat. Nicht genug, dass die Neuinfektionen in Europa seit Jahren nicht weniger werden - trotz aller Safer-Sex-Kampagnen.

Die neue Studie legt nun nahe, dass ältere Menschen, und zwar vor allem heterosexuelle, weniger an das Aids-Risiko zu denken scheinen als jüngere. Andere Studien hatten bereits gezeigt: Menschen jenseits der 50 setzen deutlich seltener als jüngere auf Safer Sex, wohl auch, weil das Thema Verhütung an Bedeutung verliert.

Vor allem ältere Heteros

Ein weiteres Ergebnis der Lancet-Studie ist von Bedeutung: Die Zahl an Infizierten, die erst spät im Leben erfahren, dass sie womöglich seit Langem HIV-positiv sind, nimmt zu. Ein Problem, nicht nur, weil sie andere unwissentlich infizieren können, sondern auch, weil die Infektion unbehandelt schon Schäden am Immunsystem anrichtet.

Je später das Virus im Körper entdeckt wird, desto weniger können moderne Therapien, die den Aids-Erreger zurückdrängen und den Ausbruch der Immunschwäche verzögern sollen, noch ausrichten.

Hinter der Lancet-Veröffentlichung steckt eine Studie, für die Forscher der Europäischen Seuchenschutzbehörde ECDC alle neuen Fälle von HIV oder Aids auswerteten, welche die EU-Mitgliedsstaaten sowie Lichtenstein, Norwegen und Island zwischen den Jahren 2004 und 2015 gemeldet hatten.

In der Altersgruppe zwischen 15 und 49 wurden rund 312'000 neue Diagnosen registriert, bei den 50plus waren es 54'000. Zwar zeigen diese Zahlen: Noch immer stecken sich viel mehr jüngere Menschen mit HIV an als ältere.

Doch der Anteil an neudiagnostizierten HIV-Positiven an allen Gleichaltrigen nahm unter den Älteren um zwei Prozent pro Jahr zu, während er unter den jungen Menschen konstant blieb. In Deutschland sei die Rate der HIV-Neudiagnosen unter jungen Menschen zwischen 2004 und 2015 um vier Prozent gestiegen, bei den Älteren aber um mehr als acht Prozent.

Während die grösste Risikogruppe unter Jüngeren Männer sind, die mit Männern Sex haben, infizierten sich unter den Älteren vor allem Heterosexuelle.

Je später entdeckt, desto kürzer die Lebenserwartung

Zusätzlich stellten die Autoren der Studie fest, dass sich im Blut älterer Menschen zum Zeitpunkt der HIV-Diagnose deutlich weniger CD4-positive T-Helferzellen fanden als in dem der jüngeren Patienten. Diese Zellen sind ein wichtiger Bestandteil des Immunsystems und das Hauptangriffsziel des Aids-Erregers.

Das Virus schleust sich in diese Zellen ein, schreibt sich in deren Erbgut ein und zwingt sie dazu, die Bestandteile des Eindringlings zu vervielfältigen. CD4-Zellen sterben dabei entweder, weil sich Risse in ihrer Zellwand bilden, wenn sie neue Viruspartikel ins Blut abgeben, sie sterben den programmierten Zelltod, oder sie werden vom eigenen Immunsystem getötet, weil dieses sie als infiziert erkennt.

Im Laufe der HIV-Infektion sinkt also die Anzahl dieser CD4-Zellen. Je weniger davon übrig sind, desto schwächer wird das Immunsystem. Und desto schlechter kann es auf Krankheitserreger ganz generell reagieren. Für Gesunde oftmals harmlose Infektionen können somit für HIV-Infizierte lebensgefährlich werden.

Die niedrigeren CD4-Werte bei Älteren, die die Studie beschreibt, sind also ein klares Indiz dafür, dass die Infektion bei Diagnosestellung oft bereits weit fortgeschritten ist.


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