Studium statt Ruhestand ist am boomen

Die Generation 50 plus erobert die Unis – die Jungen sind sauer, schreiben Walter Hauser und Katja Murmann im „SonntagsBlick“.
Lernen hört ein Leben lang nie auf.
Lernen hört ein Leben lang nie auf.

Josef Inauen (72) aus Steffisburg BE musiziert für sein Leben gern. Doch für dieses Hobby hatte er zuletzt wenig Zeit. Er sass am Schreibtisch und verfasste seine Dissertation. Letzten Monat konnte der Pensionär an der Universität Freiburg seine Promotionsurkunde entgegennehmen.

Nun ist er, ganz offiziell, Dr. phil. "Auf diesen Moment musste ich lange warten", sagt der ehemalige Bibliothekar, der schon vor 50 Jahren mit seiner Dissertation begann. Doch erst jetzt konnte er sein Werk fertigstellen: Es umfasst fast 1000 Seiten. Inauen beleuchtet darin die Beziehungen der Schweiz zu den süddeutschen Monarchien Baden, Württemberg und Bayern im 19. Jahrhundert.

"Dass die Arbeit endlich fertig ist, ist wie ein Traum", freut er sich. Studium statt Ruhestand: Die Zahl der Senioren-Studenten hat sich in den letzten zehn Jahren nahezu verdreifacht. Waren 2004 noch 736 Personen über 50 an Schweizer Universitäten immatrikuliert, waren es 2013 bereits 2149.

Besonders beliebt sind Geistes- und Sozialwissenschaften, aber auch in Fächern wie Medizin und Pharmazie gibt es Studenten jenseits der 50. "Durch ein Studium im Alter erhöht sich die Lebensqualität", sagt der Zürcher Altersforscher François Höpflinger (65). "Man hält sich fit, ist mit jüngeren Menschen in Kontakt und macht durch das Lernen ein Gedächtnistraining."

Zwar sei das Lernen im Alter anstrengender, doch viele Senioren mühten sich gern: "Die Weiterbildung erfolgt nicht für den Beruf, sondern um die eigene Perspektive aufs Leben zu erweitern." Einmal an der Hochschule, entwickeln viele Senioren grossen Ehrgeiz. 64 von ihnen erwarben im letzten Jahr einen Doktorgrad.

Die wohl älteste heisst Elsbeth Steiner-Arnet, ist 80 - und promovierte an der Uni St. Gallen zum Thema "Religion jenseits religiöser Institutionen". "Am Anfang hätte ich nie gedacht, dass ich es bis zum Doktor schaffe", sagt Steiner-Arnet, die 1999 an der Uni Freiburg ein Studium der Religionswissenschaften begann.

"Aber dann hat mir das wissenschaftliche Arbeiten so Spass gemacht, dass ich nicht mehr aufhören wollte." Der Studieneifer der Senioren gefällt nicht allen. Gerade an überfüllten Unis wie Zürich und St. Gallen sind die grauhaarigen Studenten nicht immer gern gesehen.

"Einige wenige junge Studenten waren konsterniert", sagt Elsbeth Steiner-Arnet. "Sie können nicht verstehen, warum wir Älteren uns den ganzen Stress antun." Antonio Loprieno, Rektor der Uni Basel und Präsident der Schweizer Rektorenkonferenz, kennt das Problem: "Ich kann verstehen, wenn sich junge Studierende beschweren und sich minorisiert fühlen", so Loprieno.

"Aber ihnen muss man sagen: Es ist eine gute Erfahrung im Leben, mit Älteren zu studieren." Die Senioren stünden den Jungen nicht im Weg: "Jemand, der mit 70 promoviert, kann nicht die gleiche Form von Betreuung beanspruchen wie jemand mit 25."

Schliesslich bereite sich der Senior nicht auf eine wissenschaftliche Karriere vor. Elsbeth Steiner-Arnet liess sich nicht beirren. Und denkt auch nach dem Abschluss ihrer Doktorarbeit nicht daran, sich zur Ruhe zu setzen. Sie arbeitet als Coach und betreut derzeit zwei intensive Mandate, wie sie sagt.

Auch Josef Inauen verfolgt weiterhin akademische Ziele. Fast täglich arbeitet er an einer Quellenedition badischer und württembergischer Gesandtschaftsberichte aus dem 19. Jahrhundert. Zu seinem 75. Geburtstag in drei Jahren will er das Werk abliefern. Und dann?

Dann bearbeitet er, als krönender Abschluss, die bayerischen Gesandtschaftsberichte. Dafür gibt er sich Zeit bis 2022 - bis zu seinem Achtzigsten.


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