Lebensgeschichten
Es ist nie zu spät, sein Leben umzukrempeln
„Erklären kann ich es nicht“, sagt Lotti Meier (67) ehrlich. „Aber nach all den Jahren in der Fremde hatte ich einfach Heimweh. Mir fehlten die Berge.“
Früher arbeitete die Schweizerin als Modedesignerin. Als sie sich auf einer Hundeschlittentour in Lappland in den schwedischen Musher verliebt, gibt sie alles auf und wandert aus.
Mehr als 25 Jahre lebt die quirlige Abenteurerin in der waldreichen Region am Polarkreis. Anfangs führt sie mit ihrem Mann eine Huskyfarm, nach der Trennung vor 15 Jahren macht sie allein weiter. Es ist kein leichtes Leben. Die Temperaturen erreichen hier im Winter -25 Grad. Es wird höchstens vier Stunden am Tag hell. Aber sie liebt das Klima, saust in den freien Stunden begeistert durch den Glitzerschnee und schreit manches Mal ihr Glück einfach hinaus. „Mich hatte das Schlittenhunde-Virus im Griff, gegen das es kein Medikament gibt“, glaubt Lotti.
Es ist ein einsames Leben. Bis zum nächsten Haus sind es sieben Kilometer, bis zur nächsten Ortschaft 15. Es gibt keine Bars und schicken Restaurants, aber die Tiere, die sie jeden Tag bekuschelt, und die Stammgäste, mit denen sie nach all den Jahren Freundschaften verbindet. An den Endlos-Abenden sitzt sie am langen Esstisch im Aufenthaltsraum der Lodge, betreut in der Saison ihre Gäste, in der anderen Zeit renoviert sie die weitläufige Anlage.
„Ich habe immer gesagt: das ist mein Leben. Ich bleibe hier. Für immer“, sagt Lotti.
Doch dann besucht sie vor zwei Jahren die Geschwister in der Schweiz und geniesst plötzlich das Miteinander, die Nähe zu den Bergen, das immer noch vertraute Essen.
„Zwischen Rueblitorte und Käsefondue fühlte ich mich so heimisch, dass ich am liebsten gleich geblieben wäre. Ich kann es nicht erklären, aber es war, als ob sich in mir ein Hebel umlegt.“
Auf dem Rückflug von Zürich nach Kiruna ist sie nachdenklich. Kann man in jedem Alter das Leben einfach auf den Kopf stellen? Lotti ist unsicher. Lebt sie sich nach all den Jahren wieder in der Heimat ein? Was ist mit den lieb gewordenen Routinen? Kann sie statt Ruhe, Stille und Alleinsein auch Geselligkeit und Trubel? Kann man alles über den Haufen werfen, sozusagen eine Rolle rückwärts machen? Einen Winter lang grübelt sie. „Mein Umfeld hat davon nichts mitbekommen“, so Lotti. „Ich habe meine Gäste betreut, ansonsten funktioniert.“ Aber wann immer sie kann, stellt sie sich auf den Schlitten und rauscht über die endlosen Schneefelder. Sie hört nichts als das Knirschen der Kufen und fragt ihr Herz, wo künftig ihr Platz sein soll. „Die Stimme war eindeutig. Ich musste zurück. Offenbar hat alles seine Zeit“, glaubt Lotti. „Nach dem Winter stand fest: ich fange noch mal von vorn an.“
Nie aufgeben, stark sein. Das hat sie sich schon früh vom Hunderudel abgeguckt und das wird auch jetzt ihr wieder Leitmotiv. Motiviert und zielstrebig sucht sie sich einen Nachfolger, der nicht nur ihre Lodge gut führt, sondern auch die Tiere, die ihr so am Herzen liegen, bestens betreut. Sie hat ihr Snowtrail-Dogcamp mit ihren geliebten Hunden in gute Hände gegeben.
Parallel dazu mietet sie sich eine kleine Wohnung am Zürichsee, kauft sich ein Auto und sagt im Sommer 2022 schliesslich Lappland adieu. „Klar flossen Tränen, aber Zweifel kam zu keiner Zeit auf. Das Leben ist immer im Fluss. Man darf sich nicht sperren.“
Die Heimreise tritt sie mit dem Auto an. „Das war wichtig. Ich brauchte den langen Abschied, damit meine Seele mitkommen kann.“
Heute ist sie viel in den Bergen unterwegs, verdient sich etwas Geld als Schneiderin und betreut Hunde. Sie liebt es, mit Freunden und der Familie zusammen zu sein. Und sie probiert sich neu aus, indem sie zum Beispiel Wasserski versucht. Die nächste Lappland-Reise ist allerdings geplant. „Aber ich komme jetzt nur noch als Gast, ohne Verantwortung.“ Lotti blinzelt zufrieden in die Sonne und lacht. „Man ist nie zu alt, seine Träume zu leben. Wenn das Herz den Weg weist, ist es immer richtig.“
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