"Graue Eminenzen" sind gesucht

Senior-Experten helfen im In- und Ausland bei kniffligen Problemen. Dafür ernten sie im besten Fall Wertschätzung, Dank und ein bisschen Abenteuer.
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Er ist der Fachmann und wird deswegen geschätzt.

Siegfried Müller ist Metzgermeister. Sein ganzes Berufsleben hat er sich mit Fleisch beschäftigt - und dabei viel Fachwissen angesammelt. Dieses Wissen gibt er nun als Rentner weiter: In Debre Zeyit, einem kleinen Ort südöstlich von Addis Abeba in Äthiopien.

Müller ist einer von rund 11.000 Fachleuten, die beim Senior-Experten Service (SES) in Bonn registriert sind. "Wenn wir Anfragen bekommen und Experten mit Fachwissen haben, senden wir sie los", erklärt Susanne Nonnen, Geschäftsführerin der gemeinnützigen Gesellschaft.

Wenn Berufstätige heute in Rente gehen, wollen viele sich noch nicht zur Ruhe setzen. "Viele, die aus dem aktiven Arbeitsleben ausscheiden, wollen nicht nur die Kinderwagen der Enkel schieben", erzählt Personalberaterin Helga Krausser-Raether aus Frankfurt am Main.

Sie seien topfit und wollten etwas erleben. Eine Möglichkeit sei dann, im alten Beruf weiter tätig zu bleiben. Der SES ist eine der Organisationen, die Rentner dabei unterstützt. Egal, ob ehrenamtlich oder entlohnt, bei Stiftungen oder Organisationen: Rentner sind als Senior-Experten vielerorts im Einsatz.

Zum Teil auch beim alten Arbeitgeber. So hat die Firma Otto in Hamburg erst 2012 die "Otto Group Senior Expert Consultancy" gegründet, eine Pensionärsfirma. "Die Rentner sollen helfen, etwaige Lücken in Arbeitsprozessen zu schliessen", erzählt Sandra Widmaier, Personalchefin bei Otto.

Die Senioren bekommen einen Beratervertrag und ihr altes Gehalt, das an die heutigen Verhältnisse und den zeitlichen Einsatz angepasst wird. Maximal dürfen die Pensionäre an 50 Tagen eingesetzt werden. "Das Gros der Experten ist zwischen 67 und 75 Jahren alt, überwiegend sind Männer in unserem Pool."

Die jungen Mitarbeiter seien oft fasziniert von den Pionieren des Konzerns - Konkurrenzdenken liege ihnen fern. "Die Senioren haben mehr Überblick und einen anderen Karrierebegriff", sagt Beraterin Krausser-Raether. "Sie müssen niemandem mehr etwas beweisen und den nächsten Karriereschritt planen."

Unabhängig seien die Rentner und zu nichts verpflichtet - eine gute Ausgangssituation, auch für all jene Ruheständler, die mit dem SES ins Ausland gehen. Was einst als Idee aus Industrie und Wirtschaft entstand, hat sich während der vergangenen Jahrzehnte zu einem Selbstläufer entwickelt.

"Im ersten Jahr haben wir bei 22 Anfragen geholfen, heute sind es pro Jahr rund 1.600 Einsätze im Ausland", sagt Geschäftsführerin Nonnen. Der klassische Experte sei Diplom-Ingenieur oder Meister in einem Handwerk. Auch Facharbeiter sind gefragt. Diese kennen sich häufig mit älteren Maschinen aus, die in Entwicklungs- oder Schwellenländern noch im Einsatz sind.

Die Bewerbung für einen Einsatz über den SES ist einfach: Senioren melden sich telefonisch bei der Organisation oder registrieren sich auf der Homepage im Internet, rät Nonnen. Dabei geben sie an, welche Erfahrungen sie aus ihrem Beruf mitbringen, welche Sprachen sie sprechen und welche weiteren Qualifikationen sie haben.

Die Experten arbeiten immer ehrenamtlich. Der Auftraggeber übernimmt die Kosten, die vor Ort entstehen: Übernachtung, Transport, wenn nötig auch einen Dolmetscher. "Wenn der Auftraggeber es sich leisten kann, kommt er auch für die Reisekosten, die Versicherungen und die Nebenkosten, etwa Impfungen, auf."

Wenn nicht, hat der SES dafür Mittel zur Verfügung. Die Einsätze im Ausland dürfen maximal ein halbes Jahr dauern. "Im Schnitt sind die Experten vier bis sechs Wochen unterwegs", berichtet Nonnen. Anders sind die Einsätze in Deutschland strukturiert, für die der SES ebenfalls Experten sucht: Mehrere Projekte gibt es, bei denen Ruheständler in die Unternehmen oder in die Schulen gehen und dort helfen.

"Inzwischen sind wir hier bei rund 2.000 Einsätzen im Jahr", erzählt Nonnen. Vera heisst eines der Projekte, die Abkürzung steht für "Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen". Dabei fungieren die Rentner als Mentoren für junge Leute in der Ausbildung und helfen ihnen bei Problemen.

Im besten Fall, sagt Beraterin Krausser-Raether, bekommen die Senioren bei ihrem Einsatz nach der Rente Wertschätzung und ein bisschen Abenteuer. Darauf vorbereiten können sie sich häufig bedingt. Schliesslich wissen sie im Voraus meist nicht, welche Situation sie erwartet.

Aber auch da haben Rentner einen entscheidenden Vorteil gegenüber manchem jungen Manager: "Sie können ihre Arbeit ganz gelassen angehen, denn jeder wird die Hilfe schätzen, die sie leisten."


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