Der Senior möchte nicht vergessen werden

Gerade in Familienunternehmen wird die Nachfolge oft nur unter finanziellen Aspekten betrachtet, schreibt Katrin Rohnstock auf "faz.net".
Nachfolgeregelung, 50plus, Senioren
Loslassen können: Vielleicht machts der Sohn ja auch ganz gut.

Dabei vergessen die Beteiligten, dass auch ein ideeller Wert auf die neue Generation übergeht - über den es oft zu Streit kommt.

Nachfolgeprozesse in Familienunternehmen scheitern häufig. Dabei hat sich eine ganze Branche gerade auf die Regelung der Unternehmensnachfolge spezialisiert: Konzeptionelle Beratung, begleitendes Coaching oder Moderation der Veränderungsprozesse sollen helfen, Unternehmen reibungslos zu übergeben und die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu sichern.

Leider wird die Nachfolge oft nur unter den Aspekten des finanziellen Erbes betrachtet. Doch die meisten Veränderungsprozesse scheitern nicht daran, dass sich das materielle Erbe nicht klug übergeben liesse, sondern sie scheitern an dem zu gering geschätzten ideellen Erbe.

Zum ideellen Erbe gehören - zunächst ganz allgemein - die Kultur eines Unternehmens und seine Entwicklungsgeschichte, deren wichtigster Teil die Persönlichkeit des Unternehmers ist. Er hat das Unternehmen massgeblich geprägt. Es trägt seine Handschrift.

Stehen ideelles und materielles Erbe nicht miteinander im Einklang, so ist der Übergabeprozess die vielleicht letzte Chance, ein Gleichgewicht herzustellen. Geschieht dies nicht, ist der gesunde Fortbestand des Unternehmens bedroht - und damit oft auch der Familienfrieden.

Wilhelm Sommer hat ein beachtliches Maschinenbauunternehmen aufgebaut. Vor fünf Jahren übergab er es seinem Sohn. Zwei Jahre später starb seine Frau. Von da an sass er allein in seinem grossen Haus. Seine Tochter besuchte ihn. Ihr erzählte er erstmals all die Geschichten: Wie er seine Firma gegründet und weiterentwickelt hat.

Er schilderte ihr auch, dass er glaubte, die Firma retten zu können, als der Markt für seine Produkte schon längst weggebrochen war. Wilhelm Sommer hat versäumt, seinem Sohn, während er ihn in die Firma einführte, diese Geschichten zu erzählen. Weil der Junior nicht um die komplizierten Zusammenhänge weiss, verzeiht er seinem Vater bis heute nicht, dass er damals so viel Geld verbrannt hat.

Er reduziert ihn auf "Dickkopf". Zwischen Vorgänger und Nachfolger fehlt der emotionale Kitt. Wird das ideelle Erbe eines Unternehmers nicht geachtet, löst dies Ängste und Verletzungen aus, die zu schweren Konflikten führen können. Doch auch die Erben müssen sich den ideellen Nachlass souverän aneignen, sonst ist die Zukunft des Unternehmens gefährdet.

Unbewusst streiten und feilschen Senior und Junior um jeden Meter, den der eine vorwärtsgehen, den der andere zurückweichen muss. Im Prozess der Nachfolge im Familienunternehmen werden die Bedingungen ständig neu ausgehandelt.

Das Ziel ist klar: Das Unternehmen sicher und erfolgreich in die Hände der nächsten Generation zu übergeben. Doch: wie dort hinkommen? Dies ist ein komplizierter Lernprozess, den niemand vorab erlernen kann. Eine Möglichkeit ist, sich bei befreundeten Unternehmern abzugucken, was gut läuft und was schlecht.

Doch ist jeder Senior und jeder Junior anders. Jedes Verhältnis zwischen beiden. Glaubt der eine: "Ich möchte die Firma an meine Kinder übergeben, aber sie müssen noch sehr viel lernen", dann erzählt der andere: "Mein Sohn hat darauf bestanden, dass ich ihm die Firma übertrage".

Im besten Fall geht es sukzessive: Der Senior muss lernen abzugeben - und der Junior muss lernen zu übernehmen. Dem Senior sollte es gelingen, dem Junior erst kleine, dann zunehmend grössere Verantwortungsbereiche zu übertragen, damit er wachsen kann.

Er darf ihn dabei nicht überfordern. Er darf ihn aber auch nicht unterfordern. Denn der Junior muss sich entsprechend seinen Fähigkeiten entfalten können, sonst verliert er das Interesse und das Engagement. Er droht depressiv zu werden, vielleicht sogar Alkoholiker, oder er sucht sich ein Gestaltungsfeld ausserhalb der elterlichen Firma.

Dabei muss der Senior auch Macht, Einfluss und Bedeutung abgeben. Der Prozess ist mit einem permanenten Bedeutungsverlust verbunden. Innerhalb dieses Prozesses muss der Senior nicht nur andere Lebensgewohnheiten erlernen, um nicht mehr jeden Tag in die Firma zu gehen, er muss auch neue Lebensinhalte finden und einen neuen Lebenssinn.

Befördert wird der Rückzug aus der Firma oft durch Krankheit - durch die Erfahrung, dass die Kräfte schwinden und nicht mehr ausreichen, das Unternehmen zu lenken. Doch wenn die Kinder die Führungspositionen übernehmen, müssen sie die Möglichkeit haben, sie mit ihrer Kultur zu beleben, mit ihrer Persönlichkeit auszufüllen.

Und die ist mit Sicherheit anders als die des Vaters. Deshalb ist es günstig, wenn der Junior zuvor die Möglichkeit erhält, sich zu beweisen. Dafür ist es gut, wenn der Nachfolger einen neuen Bereich aufbaut. Einen Bereich, in dem der Alte nicht mitreden kann, zu dem der Senior weder Lust noch eine Beziehung hat.

Einen Bereich, in dem es noch kein Erbe gibt. Hier kann der Junior unternehmerisch denken und handeln lernen, ohne dass sich der Senior einmischt. Hier kann er Fehler machen und für sie selbst geradestehen. Und er kann den Senior um Rat fragen. Anders in den vom Senior aufgebauten und geprägten Unternehmensteilen.

Werden hier vom Junior Veränderungen angestrebt, kann sich der Senior schnell angegriffen fühlen: Etwas, das über Jahrzehnte Bestand hatte, etwas, das von ihm mit Mühe und Energie zum Laufen gebracht wurde, soll nun verändert oder abgeschafft werden.

Dies ist für Senior-Unternehmer oftmals eine enorme Herausforderung, in der sie ihr Lebenswerk gefährdet sehen. Dabei ist Kommunikation das A und O. Gut, wenn der Vater erzählt, warum etwas so und nicht anders eingerichtet wurde. Auf diese Weise verstehen die Kinder den Entstehungsprozess und können die Entscheidungen des Vaters achten, ja vielleicht sogar wertschätzen.

Hierbei muss es gar nicht um die grossen betrieblichen Abläufe gehen. Eine Hotelierin aus Freiburg, die ganz traditionell einen Nachfolger in der Familie gefunden hatte, berichtete von dem anfänglichen Konflikt, dass der Junior aus ihrer Sicht zu viel am Interieur verändern wollte.

Es ging um eine alte Truhe, die er durch ein modernes Möbelstück ersetzen wollte. Sie erzählte ihm daraufhin die Geschichte, die hinter diesem Einrichtungsgegenstand steckt: dass ihn einst ein Fürst dem Haus überlassen habe, der in diesem Hotel vor rund 200 Jahren Quartier bezog.

Das Möbel ist als Teil der Geschichte des Hauses untrennbar mit ihm verbunden. Der Junior verstand und liess die Truhe unberührt. Sind Veränderungen unausweichlich, ist es umgekehrt wichtig, dass die Nachfolger ihren Vorgängern erklären, warum sie die Veränderungen vornehmen und wie es künftig laufen soll.

Gehört zu werden ist dabei essentieller als sich mitzuteilen. Der Nachfolger trägt die Verantwortung, dem Werdegang und Engagement seines Vorgängers gebührend Respekt und Akzeptanz entgegenzubringen. Der Werdegang eines Menschen, sein Engagement für die Firma, seine Entscheidungen, die die Entwicklung der Firma vorantrieben, die den Erfolg der Firma begründeten und ihren Bestand sicherten - all dies gehört zum ideellen Erbe.

Dieses wollen die Senioren wertgeschätzt wissen. Es bemisst ihr Lebenswerk. Wenn die Nachfolger diesem ideellen Erbe die gebührende Achtung geben, kann der Übergabeprozess leichter gestaltet werden. Oft genug haben die Seniorunternehmer Angst, dass ihre Lebensleistung zerstört oder verschüttet wird, wenn die Jüngeren alles anders machen.

Sie befürchten, dass ihr Werk in Vergessenheit gerät. Diese Lebensleistung in Geschichten zu erzählen und in Buchform zu bewahren kann den Senior-Unternehmer entspannen. Er muss mit einem permanenten Bedeutungsverlust zurechtkommen.

Dieser Bedeutungsverlust kann kompensiert werden, indem er noch einmal Revue passieren lässt, wie er angefangen und sich entwickelt hat. Er kann erzählen, wie schwierig die Situationen oft waren. Dies macht den Senior für die Kinder auch nahbar.

Oftmals wissen sie zu wenig über den Vater - weil er nie zu Hause war. Weil er immer gearbeitet hat. Für den Vater besteht die Chance, über das Erzählen seiner Geschichte die Ereignisse aufzuarbeiten. Denn oft rollten sie in so schneller Abfolge heran, dass keine Zeit zur Verarbeitung blieb.

Er kann den Geschehnissen im Nachhinein einen Sinn geben. Denn wir können nur vorwärtsleben, aber nur rückwärts verstehen. Die Aufarbeitung gibt dem Senior aber auch die Gewissheit, dass sein ideelles Erbe nicht verlorengeht.

Wenn der Senior offen erzählt, was er getan, wie er gehandelt hat und was ihm dabei widerfahren ist, wenn er also ehrlich erzählt, so gibt er über sein Lebenswerk auch Erfahrungen weiter. Er gibt weiter, wie er schwierige Situationen bewältigt hat. Das kann seine Enkel noch interessieren.

Denn auch die werden immer wieder in Situationen kommen, die schwierig sind, und sie werden ihrem Grossvater dankbar sein, wenn er ihnen hinterlassen hat, mit welcher Gewitztheit, mit welchem Mut und mit welchen Blessuren man sich - am Ende erfolgreich - durchs Leben schlagen kann.

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